Denke nicht ans Gewinnen, doch denke darüber nach, wie Du nicht verlierst!

(Katsu kangae wa motsu na makenu kangae wa hitsuyo )


In unserer Serie, in der wir die wichtigsten Grundregeln unseres KARATE (auch für Laien nutzbringend) vorstellen wollen (siehe hierzu z.B. die letzten Ausgaben der PSV-Vereinsnachrichten), beschäftigen wir uns heute mit der in der Überschrift genannten 12. Grundregel unseres Stilgründers Meister Funakoshi. Bei genauerer Analyse der Aussage erkennen wir, dass es sich um eine Anweisung handelt, welche Grundeinstellung wir im Leben einzunehmen haben. Nicht etwa erst nach dem Beginn einer Auseinandersetzung, sondern schon lange vorher, sozusagen in „Friedenszeiten“.


In diesen Tagen, da dieser Text geschrieben wird, steht die Olympiade vor der Türe mit dem  „angeblichen“ olympischen Motto „Dabei sein ist alles!“ Bedeutet dies das selbe wie unsere Regel? Nein! Abgesehen von der strukturellen Unehrlichkeit dieses olympischen Mottos – zumindest wenn es von Funktionären, Sponsoren u.ä. in den Mund genommen wird – war es nie wahr und wird auch nie wahr werden! Der 2., 3. oder 10. Platz ist und bleibt eben völlig bedeutungslos. Was zählt ist nur Platz 1, die Goldmedaille. Der Athlet muß deshalb nur ans Gewinnen denken und wie er das oberste Treppchen besteigen kann. Und das ganze nur für ein paar Minuten (- oder Tage? -) Ruhm? (Es sei ihnen trotzdem gegönnt! D.Verfasser)

Wie anders ist doch die affirmative Aufforderung unserer Regel: „Denke darüber nach, wie Du nicht verlierst!“  Wenn wir darüber wirklich tiefer nachdenken, müssen wir uns zu allererst mal fragen: Müssen wir denn jeden Kampf und jede Herausforderung überhaupt annehmen? Was versprechen wir uns überhaupt davon? Ist nicht eine Ursache dessen, was heute neudeutsch mit der Diagnose „Burnout“ umschrieben wird, die Tatsache, dass wir uns tagtäglich in eigentlich völlig bedeutungslosem Kleinkrieg – im (Geschäfts-)Alltag oder in der Familie – aufreiben und unbedingt glauben, mit unserer Position „siegen“ zu müssen. Handelt es sich hier nicht nur um ein Produkt unserer falschen Eitelkeit? 

Und auf der anderen Seite werden wir öfters Zeuge von Unterdrückung, Ausgrenzung, Mobbing oder ähnlichem gegen Schwächere und trauen uns nicht einzugreifen. Es geht ja nicht gegen uns und wir wollen es uns doch auch nicht mit den Vorgesetzten, Kollegen, Nachbarn oder einfach dem Sozialrüpel auf der Straße oder in der Stadtbahn „verscherzen“. Müssten wir diesen Kampf nicht dennoch gerade jetzt führen?


Ist es nicht schon jedem von uns so gegangen, daß man im Nachhinein, lange nach der Konfliktsituation eigentlich ganz genau gewusst hat, wie man sich korrekt hätte verhalten müssen? Doch da war es dann halt zu spät... ..aber beim nächsten Mal dann!...

Und denke ich dann tatsächlich darüber nach, wie ich nicht verliere, fällt mir sofort ein, daß ich meine Fähigkeiten im Dienste der richtigen (und wichtigen) Sache bedingungslos und unverzüglich im notwendigen Umfang einzusetzen habe. Ich kämpfe nicht nach dem „gewünschten“ Drehbuch meines Gegners, sondern ausschließlich aus der Gewißheit heraus, instinktiv richtig zu handeln, ohne Furcht vor möglichen abstrakten Folgen und aus einer Haltung der Unerschütterlichkeit heraus.


Nahezu jeder Aggressor hat ein inneres Drehbuch für die kommende Auseinandersetzung schon fertig, bevor diese überhaupt beginnt. Und nahezu jedes dieser Drehbücher lebt davon, daß beim Gegenüber – dem Opfer – ein Zögern entsteht, innerhalb dessen sich die Gewalteskalation vollziehen läßt. Gleichgültig ob es sich  um individuelle Gewaltausübung oder Gewaltexplosionen aus Gruppen heraus handelt. Wem es aber gelingt, dieses Zögern zu vermeiden, weil er die Bereitschaft zur unmittelbaren Antwort schon vorher mit sich abgemacht hat, ist schon deutlich vom Drehbuch des Aggressors abgewichen und hat schon einen wichtigen Schritt auf dem Weg „nicht zu verlieren“ zurückgelegt. Ob ich damit schon „gewinne“ ist noch nicht ausgemacht. Aber ein nicht geringes Hindernis auf diesem Weg ist dann schon mal aus dem Weg geräumt.



Ihr / Euer 

Alexander Mitsanas, 

Trainer der Karateabteilung im PSV



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