Die Ausbildung im Karate dauert ein ganzes Leben lang

( Karate no shugyo wa issho )


So lautet die neunte von  zwanzig Regeln, die unser Karatestilgründer Funakoshi jedem ernsthaft Karatetreibenden auf den Weg mitgegeben hat. Wie schon in früheren Ausgaben unserer Vereinsnachrichten erläutert, sollen diese Regeln einen ethischen, philosophischen und strategischen Rahmen bilden, innerhalb dessen sich der Karateka seinen Studien widmen kann (- und muß! - ) ohne sich in technischen Details zu verlieren oder seine Kenntnisse zur eitlen Selbstdarstellung zu nutzen oder gar Schwächere zu unterdrücken.


Um diese Regel zu verstehen, sollten wir uns zunächst anschauen, welche Vorstellung wir, hervorgerufen durch unsere Sozialisation, normalerweise vom Lernprozess als solchem haben. Wenn wir eine spezielle Fähigkeit erwerben wollen, erwarten wir von einem Unterricht, daß er uns diese in möglichst kurzer Zeit und vollständig beibringt, mit dem automatischen Ergebnis sie anschließend perfekt zu beherrschen. In Prüfungen beweisen wir dann, daß wir dieses Ziel auch erreicht haben.


So kommen auch die meisten Anfänger zum Karatetraining und wollen schon sehr früh – wenn nicht gleich – wissen, wie lange man trainieren muß, um selbst zum Meister werden und ob es „danach“ überhaupt noch etwas neues zu erlernen gibt.

Im Gegensatz hierzu steht der im asiatischen Kulturraum beheimatete Grundansatz für alle (Kampf-)Künste eines stetigen Strebens nach Perfektion bei gleichzeitigem Wissen um die Nichterreichbarkeit der absoluten Perfektion. Dieses Wissen ist aber nicht destruktiv in dem Sinne, daß man dann einfach erst gar nicht anfängt, sondern dient im Gegenteil als Ansporn, sich intensiver mit der Kunst zu beschäftigen und dieser einen höheren Stellenwert in seinem Leben einzuräumen. Man ist mit anderen Worten bestrebt, heute besser als gestern und morgen besser als heute zu sein.


Äußeres Anzeichen der Anerkennung der Bemühungen im Karate sind die im Rahmen von Prüfungen verliehene Schüler- oder Meistergrade mit entsprechenden Gürteln. Diese sind aber nicht das eigentliche Ziel, sondern vielmehr eine psychologische Ermunterung auf dem langen Weg der Vervollkommnung in der Kampfkunst voranzuschreiten. In früheren Zeiten gab es dieses nach außen hin sichtbare Zeichen durch unterschiedliche Gürtel übrigens nicht und wurde erst durch den intensiveren Kontakt mit dem Westen und der Übernahme auch westlicher Ideale geschaffen. Gleichzeitig ging auch eine Versportlichung des Karate einher, in dessen Rahmen in Wettkämpfen „Sieger“ und „Verlierer“ ermittelt werden. Auch dies übrigens kein Inhalt des klassischen Karates, dessen oberstes Ziel die Selbstverteidigung bzw. Nothilfe für Dritte war. 


Ohne diese Entwicklung zurückdrehen zu wollen, muß dem Karate-Anfänger immer klar  gemacht werden, daß auch dieses Wettkampfkarate bestenfalls ein winziger Ausschnitt innerhalb der eigenen Karateentwicklung einnehmen kann. Der viel längere Weg und nach Möglichkeit lebenslange Weg beginnt erst danach. 


Aber so wie nicht jeder, der sich mit bildender Kunst beschäftigt, zu einem Michelangelo, DaVinci oder Rembrandt wird, ist es auch nicht jedem Karateanfänger gegeben, sich dieser Kampfkunst so hinzugeben, daß er eine wirklich hohe Stufe der Perfektion erreicht. Aber der Weg selbst kann schon eine erfüllende und das Leben bereichernde Erfahrung sein.

In diesem Sinne freuen wir uns stets auf Mutige, die sich neu in das (Lebens-)Abenteuer „Karate“ stürzen.



Ihr / Euer 

Alexander Mitsanas, 

Trainer der Karateabteilung im PSV


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